Prozess: zweifacher Mordversuch
Kein Urteil!
(05.10.2024) Ohne Urteile ist heute Nacht ein Prozess wegen zweifachen Mordversuchs gegen einen 22-jährigen Tschetschenen und seinen mitangeklagten Vater am Wiener Landesgericht zu Ende gegangen. Die acht Geschworenen haben nach stundenlangen Beratungen die Anklage verneint und den Hauptangeklagten der zweifachen absichtlichen Körperverletzung für schuldig befunden. Dem 46 Jahre alten Vater billigten sie gerechtfertigte Notwehr in einer Nötigungssituation zu.
Entscheidung nicht akzeptiert
Die drei Berufsrichter - zwei Männer und eine Frau - haben diese Entscheidung nicht akzeptiert. Sie haben den Wahrspruch wegen Irrtums der Geschworenen ausgesetzt. Damit muss die gesamte Verhandlung vor einem neu zusammen gesetzten Schwurgericht wiederholt werden. Der 22-Jährige bleibt in U-Haft, sein Vater wurde nach der Verhandlung mangels dringenden Tatverdachts enthaftet.
Kritik an Berufsrichter
Florian Kreiner, der Verteidiger der beiden Männer, hat das Vorgehen der Berufsrichter kritisiert. "Das Volk durfte also entscheiden, aber nicht so, wie es den Berufsrichtern gepasst hat. Das führt die Laienbeteiligung im Strafverfahren ad absurdum. Ein schlechter Scherz für die Geschworenen, die seit 9.00 Uhr daran gearbeitet haben, ein faires und gerechtes Urteil für die beiden Angeklagten zu finden", so Kreiner kurz vor 23:00 Uhr im Gespräch mit der APA.
Zwei Männern in die Brust gestochen
Der Hauptangeklagte hat in der Verhandlung eingeräumt, am 1. März 2024 am Reumannplatz zwei Syrern im Alter von 18 und 21 Jahren ein Klappmesser in die Brust gestochen zu haben. "Ich wollte nicht, dass wer stirbt", hat er jedoch den Tötungsvorsatz bestritten. Sein als Beitragstäter mitangeklagter Vater hat in Abrede gestellt, etwas Strafbares gemacht zu haben.
Die niedergestochenen Opfer überlebten, obwohl die Klinge dem 18-Jährigen die innere Brustkorbschlagader durchtrennt und die Lunge beschädigt hat. Das Leben des jungen Mannes hing an einem seidenen Faden, wie Gerichtsmediziner Wolfgang Denk den Geschworenen darlegte. Der lebensgefährlich Verletzte hat nach seiner Überstellung in ein Spital am OP-Tisch einen Kreislaufzusammenbruch erlitten und hatte keinen Puls mehr. Er konnte reanimiert werden, indem ein Chirurg das Brustbein durchtrennte und Drainagen in der Brusthöhle angebracht hat, mit denen Luft, Blut und Sekrete aus dem Brustkorb gesaugt wurden.
Zeuge zeigt Narben im Gericht
"Ich habe ihnen nichts getan. Ich habe sie nie zuvor in meinem Leben gesehen", betont der junge Syrer in seiner Zeugenaussage. Der 22-Jährige habe einfach die Waffe gezückt und ihm die Klinge in die Brust gestoßen: "Es war ein Zack und ein plötzliches Rausziehen, dann hatte er ein Messer in der Hand." Unvermutet hat der Zeuge plötzlich sein T-Shirt gelüftet und den Geschworenen seine Narben präsentiert: "Er hat meine Brust komplett demoliert." Er hat Schmerzengeld in Höhe von 25.000 Euro geltend gemacht.
Zehn Zentimeter tiefe Stichwunde
Dem zweiten Syrer hat der Hauptangeklagte eine zehn Zentimeter tiefe Stichwunde in der rechten vorderen Brustwand zugefügt. Der Vater des jungen Tschetschenen soll mit gezücktem Messer Zeugen der Tat in Schach gehalten und davon abgehalten haben, dem ersten Niedergestochenen zu Hilfe zu kommen. Der 46-Jährige hat bis zu seiner Festnahme bei einem bekannten Sicherheitsunternehmen als Security-Mitarbeiter gearbeitet.
Tatort: Reumannplatz
Der Hauptangeklagte ist zunächst am Nachmittag des 1. März am Reumannplatz von einem der beiden Syrer angeblich auf Drogen angesprochen worden. Das habe ihn provoziert und aggressiv gemacht, denn er hasse Suchtgift, behauptet er. Es kam zu Tätlichkeiten, wobei der Tschetschene den Kürzeren gezogen hat, da ihn sein Kontrahent mit Pfefferspray besprüht und ihm einen Kopfstoß versetzt hat. Dann ist der Syrer davon gelaufen.
Der junge Tschetschene ist nach Hause gegangen, wo er sich mit seinem Vater besprochen hat. Dem 46-Jährigen sei es aber nicht darum gegangen, Rache zu nehmen, wie der Verteidiger betont: "Er ist ein friedlicher, absolut aggressionsfreier Mann. Er ist im Rat der Tschetschenen vertreten. Er hat in der Vergangenheit friedensstiftende Aktionen gemacht." Der Vater habe sich daher am Abend mit seinem Sohn zum Reumannplatz begeben, um mit den Widersachern das Gespräch zu suchen. "Man hat das Ganze aus der Welt schaffen wollen", beteuert Kreiner. Als der Hauptangeklagte die beiden Syrer wiedergesehen hat, sei aber sofort eine Schlägerei entstanden.
Wollte verletzen, aber nicht töten
"Ich wollte den ersten verletzen, aber nicht töten", schildert der Hauptangeklagte den Geschworenen, um anzumerken: "Es kommt von unserer Herkunft her, dass man nicht die richtigen Sachen macht in so einer Situation." Als er den 21-Jährigen vor sich gesehen hat, "hab' ich mich nicht zurückhalten können. Ich bin ihn angegangen." Die Gruppe - der 21-Jährige sei von mehreren Landsleuten umgeben gewesen - hätte Flaschen in seine Richtung geworfen: "Aus Angst habe ich das Messer gezogen." Er habe den 21-Jährigen dann "in den Clinch genommen und angefangen zu schlagen" und schließlich zugestochen: "Die Jungs sind dort bekannt wegen keiner guten Sachen am Reumannplatz. Da wollte ich, dass er nicht in der Lage ist, mich und meinen Vater zu verletzen." Er habe sich "nicht aussuchen können", wo der Stich hingeht: "Ich hatte vor, die Rache zu nehmen, aber nicht, dass er stirbt."
Aus "Angst" gehandelt
Nach dem ersten Stich haben sich Vater und Sohn Richtung Quellenplatz entfernt, wo sie nach Darstellung des 22-Jährigen plötzlich Dutzenden mit Flaschen, Stöcken und Messern bewaffneten Syrern gegenüberstanden. Das zweite Opfer sei ihn "angegangen", schildert der Hauptangeklagte: "Er hat mir Angst gemacht. Stich ich zu." Dass das Messer wieder in die Brust ging, "ist nicht geplant gewesen. Es war zufällig." Auf die Frage, weshalb der 18-Jährige ihn in Angst versetzt hätte, meint der junge Tschetschene: "Er hat ein paar Schritte vor gemacht, schnell. Dann stich ich zu einfach."
(APA/EC)