5 Jahre Brexit
56% wollen EU-Wiedereintritt
(29.01.2025) Diesen Freitag ist es fünf Jahre her, dass das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen hat. Beim EU-Referendum 2016, der den Austritt zur Folge hatte, stimmten 51,9 Prozent für den Brexit. Laut Umfragen hat sich die Stimmung im Land mittlerweile geändert: Im Schnitt wären demnach jetzt 56 Prozent dafür, der EU wieder beizutreten. Realistisch erscheint dieser Schritt, den auch die aktuelle Labour-Regierung ausgeschlossen hat, in näherer Zukunft freilich nicht.
"Die meisten Wähler sind zu dem Schluss gekommen, dass der Brexit der Wirtschaft geschadet hat und nicht das gebracht hat, was sich viele 'Leave'-Wähler vor allem erhofft hatten, nämlich eine Verringerung der Einwanderung", schrieb der Politikwissenschafter John Curtice von der Universität Strathclyde diese Woche in einem Gastbeitrag für die Tageszeitung "The Telegraph". "Laut einer im September durchgeführten Befragung des National Centre for Social Research glauben fast drei von vier Wählern, darunter fast zwei von drei Austritts-Unterstützern, dass die Wirtschaft durch den Brexit schlechter dasteht. Gleichzeitig sind fast die Hälfte aller Wähler und sogar 56 Prozent der Austrittswilligen der Meinung, dass der Austritt aus der EU die Einwanderung erhöht hat."
Mehrheit für Wiedereintritt
Der Hauptgrund dafür, dass in den vergangenen drei Jahren fast alle Umfragen nahegelegt haben, dass eine Mehrheit dafür stimmen würde, wieder in die EU einzutreten, liegt laut dem renommierten Wahlforscher in den Ansichten derjenigen begründet, die im Juni 2016 nicht am Referendum teilgenommen haben. "Sie sprechen sich mit einer Mehrheit von fast drei zu eins für einen Wiedereintritt in die EU aus." Nur 15 Prozent der 18- bis 24-Jährigen - die zum Zeitpunkt der Abstimmung zu jung zum Wählen waren - geben demnach an, außerhalb der EU bleiben zu wollen.
Mehrheiten gegen einen Wiedereintritt seien hingegen vor allem auf die Gruppe der über 65-Jährigen beschränkt. "Wenn die heutigen jüngeren Wähler und Wähler mittleren Alters ihre Meinung nicht ändern, bedeutet der demografische Wandel, dass die Unterstützung dafür, außerhalb der EU zu sein, auf lange Sicht abnehmen wird", resümiert Curtice. In der Praxis bestünden aber natürlich kaum Aussichten auf ein baldiges weiteres Referendum, "auch wenn, entgegen dem, was oft angenommen wird, zwei von drei der stark EU-freundlichen Labour-Anhänger für ein weiteres Votum sind".
Labour will "Neustart"
Labour-Premierminister Keir Starmer, der im Sommer 14 Jahre konservativer Regierungsführung mit einem fulminanten Wahlsieg beendet hat und selbst 2016 für einen Verbleib in der EU gestimmt hatte, wünscht sich einen "Neustart" in den Beziehungen. Einen Wiedereintritt in die Europäische Union hat er aber wiederholt ebenso ausgeschlossen wie eine Rückkehr in den Binnenmarkt und die Zollunion.
Freilich erscheinen die Optionen für London auch ziemlich knifflig, wie Jannike Wachowiak vom Thinktank "UK in a Changing Europe" jüngst im Gespräch mit der APA ausführte. "Letztendlich sind die Auswahlmöglichkeiten ziemlich binär." Momentan bestehe "eine ziemlich distanzierte Beziehung, und man kann auf dieser Beziehung aufbauen und das bestehende Abkommen ergänzen, und das versucht Labour gerade auf eine ziemlich bescheidene Art und Weise." Das sei die eine Option.
"Oder man kann dem Europäischen Wirtschaftsraum beitreten und im Prinzip eine Art Norwegen werden, mit Zugang zum Binnenmarkt, aber keiner Mitsprache bei den Regeln. Das ist die andere Option, die für ein Land wie das Vereinigte Königreich nicht sehr attraktiv ist. Aber was gibt es dazwischen? In Wahrheit nicht sehr viel."
Die Schweiz habe zwar einen besseren Zugang, müsse aber die Personenfreizügigkeit akzeptieren und in das EU-Budget einzahlen. "Angesichts der aktuellen Debatte im Vereinigten Königreich wäre das schwer zu akzeptieren. Und die Europäische Union möchte keine maßgeschneiderte Beziehung zum Vereinigten Königreich schaffen, die für das Vereinigte Königreich richtig gut funktioniert." Schließlich wolle die EU den Binnenmarkt und die Auffassung schützen, dass die Mitgliedschaft wichtig sei. "Also kann ein Land außerhalb der EU nicht dieselben Privilegien genießen wie ein Mitgliedsstaat."
Optionen "ziemlich verzwickt"
Es sei also gar nicht so einfach zu sagen, welches Verhältnis Labour anstreben solle. "Auf dem aufzubauen, was wir haben, wird die Beziehung nicht fundamental ändern. Eine beträchtlich engere Beziehung würde wiederum bedeuten, eine Art Norwegen zu werden, und das ist auch schwierig für das Vereinigte Königreich. Wenn man darüber nachdenkt, sind die Optionen also alle ziemlich verzwickt."
Ein erneuter Vollbeitritt würde entsprechende Verhandlungen voraussetzen, und das Land, das zuvor beispielsweise den Euro nicht einführen musste und dem Schengen-Raum nicht angehörte, müsste "dieselben Bedingungen akzeptieren, die für andere Staaten gelten, die der EU beitreten wollen", sagte Wachowiak. "Aber ich denke, wir sind sehr weit von einer ernsthaften Debatte über einen Wiederbeitritt entfernt. Da sind wir innenpolitisch im Vereinigten Königreich überhaupt nicht."
Gleichzeitig würde man auf EU-Seite vor einer Wiederaufnahme der Briten wohl sicherstellen wollen, "dass es dafür einen parteiübergreifenden, politikübergreifenden, gesellschaftsübergreifenden Konsens gibt, dass das Land das wirklich will". Denn man stelle sich vor, das Vereinigte Königreich trete unter Labour wieder bei und wolle fünf Jahre später unter einer konservativen Regierung wieder austreten. "Was sollte das bringen? Und die Mehrheit von Labour ist sehr fragil. Es gibt keine Garantie, dass sie eine weitere Legislaturperiode bekommen", so Wachowiak.
Brexit nicht mehr Hauptsorge
Aktuelle Umfragen zeigen allerdings auch, dass der Brexit offensichtlich nicht mehr zu den Hauptsorgen der Briten zählt: In einer vorige Woche veröffentlichten Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov zu den drei wichtigsten Themen, mit denen das Land konfrontiert sei, nannten 54 Prozent die Wirtschaft, gefolgt von Einwanderung und Gesundheit. Der britische EU-Austritt wurde lediglich von 13 Prozent erwähnt. Vor fünf Jahren lag der Brexit in derselben Umfrage noch an erster Stelle.
(apa/mc)